Ein Bericht der Finanzkontrolle zeigt: Ex-Kommandant Blöchlinger und Alt-Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel haben rund eine MillionFranken ohne rechtliche Grundlagen ausgegeben.
Jahrelang schien alles sauber. So behaupteten es zumindest die
offiziellen Stellen. Während die AZ nach Hinweisen aus dem Umfeld der
Schaffhauser Polizei mehrmals über fragwürdige Praktiken unter Kommandant Blöchlinger berichtet hat,
beschwichtigte die damals zuständige Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel und
sagte den Schaffhauser Nachrichten unter anderem: «Alles hat seine Richtigkeit.»
Bis jetzt. Nun widerspricht erstmals auch eine Schaffhauser Behörde: Nein, es hatte nicht alles
seine Richtigkeit.
Ein Bericht der Finanzkontrolle von Stadt und Kanton Schaffhausen
(Fiko) zeigt, wie sich die Schaffhauser Polizei – zumindest in den letzten
Jahren unter Kommandant Kurt Blöchlinger
und Polizeidirektorin Rosmarie Widmer Gysel – an der Staatskasse bedient haben
soll. Zwischen 2016 und 2018 seien insgesamt rund eine Million Franken für ein
Umbauprojekt und diverse Anschaffungen ausgegeben worden, ohne dass dafür
rechtliche Grundlagen bestanden hätten.
Am Anfang der neuen Entwicklungen stand der Rücktritt der
ehemaligen Polizei- und Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel per 31. März
2018. Polizeikommandant Kurt Blöchlinger
bekam eine neue Chefin: die frühere Bundesrichterin Cornelia Stamm Hurter. Die
Wege der beiden trennten sich allerdings relativ schnell. Nur etwas mehr als
ein halbes Jahr später musste Blöchlinger
seinen Posten von einem Tag auf den anderen räumen. Blöchlinger war zuvor mehr als zehn Jahre im
Amt gewesen und 2017 gar zum Oberstleutnant befördert worden.
Das Parlament umgangen
Über die Gründe der sofortigen Trennung wurde geschwiegen. Doch
nun scheint klar, weshalb sich die Regierung von Blöchlinger getrennt hat: Eine neue
Untersuchung der Finanzkontrolleure brachte insgesamt «12 bedeutende Feststellungen» zutage. Die AZ hat den Bericht, gestützt
auf das Öffentlichkeitsprinzip, angefordert und nahezu ungeschwärzt erhalten.
Auftraggeberin des Berichts war das Finanzdepartement unter der neuen
Regierungsrätin Stamm Hurter. Die Untersuchung war knapp einen Monat nach der
Trennung vom früheren Polizeikommandanten in Auftrag gegeben worden, bestätigt
Fiko-Chef Patrik Eichkorn gegenüber der AZ.
Die Fiko bemängelt in ihrem Bericht, dass für diverse Ausgaben
der Schaffhauser Polizei teilweise keine Kreditfreigaben oder Beschlüsse des
Gesamtregierungsrates vorgelegen hatten. Für ein Projekt hätte gar ein
Verpflichtungskredit beantragt werden müssen. Konkret wurden laut Fiko 2016
knapp 550 000 Franken für das
Projekt «Führungsräume 2016» ausgegeben. Wie Fiko-Leiter
Patrik Eichkorn auf Nachfrage der AZ sagt, handle es sich hierbei unter anderem
«um einen Führungsraum an der
Randenstrasse, der mit modernster Kommunikationstechnologie eingerichtet wurde».
Laut Kantonsverfassung darf die Schaffhauser Regierung lediglich «neue einmalige Ausgaben bis 100 000 Franken» in Eigenregie beschliessen. Bei höheren Beträgen braucht es den
Segen des Kantonsrates oder gar des Stimmvolks. Sprich: In diesem Fall wurde
offenbar das Parlament umgangen.
Neben diesem Projekt wurden laut Fiko ein neuer Blitzer für 210 000 Franken angeschafft sowie ein
bestehender Blitzer für 68 000
Franken umgerüstet. Im ersten Fall habe das Vorgehen «aus formaler Sicht nicht genügt». Im zweiten Fall «hätte ein Ausgabenbeschluss des dafür gemäss Verfassung zuständigen
Regierungsrates erfolgen müssen».
Weiter wurden laut Fiko-Bericht 2017 ein VW Amarok für knapp 50 000 Franken, ein Bagger vom Typ
Radlader CASE 121 für 36 000
Franken sowie ein Fahnder-Kit für Natel und Polycom für 33 000 Franken angeschafft. 2018 sei
ausserdem ein Beleuchtungsanhänger für 46 000 Franken gekauft worden. In allen vier Fällen habe keine
Kreditfreigabe bestanden.
Zudem seien 2017 die Budgetposten «Telefoninfrastruktur» sowie
«Bewaffnung und Ausrüstung» um jeweils knapp 50 000 Franken überschritten worden. Gemäss
Fiko sei dafür «kein
Nachtragskredit» vorhanden
gewesen. Weiter stellt die Fiko fest, dass das Korps der Schaffhauser Polizei
jahrelang überdotiert war und deutlich mehr Stellen umfasste, als der
Kantonsrat bewilligt hatte. Die AZ hatte darüber bereits vor dreieinhalb Jahren
berichtet (siehe Ausgabe vom 3. Dezember 2015).
Nicht zuletzt beanstandet die Fiko, dass der Verein Polizeimusik
gleich mehrfach profitiert habe: Insgesamt 16 000 Franken seien dem Verein in Form von neuen Uniformen, Tickets
für das Schweizerische Polizeimusiktreffen in St. Gallen sowie einer «speziellen Belohnung» in Höhe von 3000 Franken zugeflossen. Die Polizeimusik besteht laut
Vereinswebsite aus 76 Aktivmitgliedern, wovon 28 Polizeiangehörige sind.
Weiter taucht im Bericht der Fiko der Verdacht auf, dass der
frühere Kommandant Blöchlinger
seinen Dienstwagen ohne Erlaubnis für private Fahrten verwendet habe.
Nachweisen lasse sich das gemäss Fiko nicht, Blöchlinger habe jedoch trotz Aufforderung des Personalamts keine
Meldung über seine Fahrten erstattet. Zumindest eine Negativbestätigung sei angebracht
gewesen, schreibt die Fiko.
2016: Als die Fiko nichts fand
Die Ergebnisse der Fiko werfen Fragen auf, zumal dieselbe Behörde bereits 2016 die Bücher der
Schaffhauser Polizei unter die Lupe genommen – und damals nichts Wesentliches
beanstandet hatte. Dementsprechend nutzte die damalige Regierungsrätin Rosmarie
Widmer Gysel den ersten Fiko-Bericht von 2016 und sagte im Mai 2017 in einem
Interview mit den SN: «Die
Fiko prüft die Wirtschaftlichkeit und die Rechtmässigkeit: Ich begrüsse diese
Schwerpunktprüfungen durch die Kontrolleure. Und ich bin froh über das gute
Ergebnis, weil die Polizei ihre Prozesse in den letzten Jahren stark angepasst
hat.» Und eben: «Alles hat seine Richtigkeit.»
Dabei gingen bei der AZ bereits damals Hinweise ein, wonach «auf dem Randen für eine halbe
Million Franken eine geheime Kommandozentrale modernisiert wurde» und der Kommandant seinen Dienstwagen für
private Zwecke nutze. Im April 2017 hatte die AZ Fiko-Leiter Patrik Eichkorn zu
diesen beiden Punkten befragt.
Zur «geheimen
Kommandozentrale» schrieb
Eichkorn seinerzeit, ein solches Projekt sei ihm nicht bekannt. Konkret schrieb
der Fiko-Chef damals: «Es könnte sich gegebenenfalls die Frage
aufwerfen, ob hier die Sanierung der Führungsräumlichkeiten des kantonalen
Führungsstabs gemeint ist, welche sich in der Randenstrasse in Schaffhausen
befinden. Diese sind allerdings nicht geheim, der Regierungsrat hat dazu den
Auftrag gegeben und die Anlagen sind auch in der Buchhaltung enthalten.» Nun beanstandet die Fiko, dass
unter anderem an der Randenstrasse das erwähnte 550 000 Franken teure Projekt Führungsräume
ohne Verpflichtungskredit realisiert wurde.
«Dass es sich
hierbei vermutlich um dasselbe Projekt handelt, ist damals nicht klar gewesen», sagt Eichkorn heute. «Aber wir haben den Hinweis
seinerzeit erfasst und wären ihm gegebenenfalls in einer folgenden Prüfung
nachgegangen. Die nächste ordentliche Prüfung bei der Schaffhauser Polizei wäre
2020 oder 2021 angestanden.»
In Sachen Dienstwagen schrieb Eichkorn der AZ im April 2017: «Gemäss unseres Kenntnisstands
verfügt der Polizeikommandant über kein eigenes Dienstfahrzeug.» Nun steht im neuen Fiko-Bericht, dass für
den Kommandanten bereits 2013 ein Dienstwagen angeschafft wurde. Laut
Staatskanzlei handelt es sich hierbei um einen BMW X1 xDrive20d. Er sei 2012
vom Regierungsrat bewilligt und für 59 000 Franken angeschafft worden. Das Auto sollte «als Poolfahrzeug» vorwiegend bei der Sicherheitspolizei zum
Einsatz kommen. «Die
ehemalige Finanzdirektorin gestattete dem ehemaligen Polizeikommandanten zudem
die Nutzung dieses Poolfahrzeuges für Privatfahrten (inkl. Arbeitsweg)», so der stellvertretende
Staatsschreiber Christian Ritzmann.
Eichkorn sagt heute: «Wir
wussten zum Zeitpunkt der Prüfung 2016, dass es ein Poolfahrzeug gab und dies
auch vom Kommandanten genutzt wurde. Hinweise über eine ausschliessliche
Nutzung auch für Privatfahrten hatten wir nicht.»
Generell, sagt Fiko-Leiter Patrik Eichkorn, handle es sich um
zwei unterschiedliche Situationen aufgrund des Amtswechsels. Die neue
Untersuchung sei diesmal «wegen
einem anderen Prüfungsvorgehen und umfangreicherer Prüfungsziele umfassender
und etwas tiefer» erfolgt als
seinerzeit im Jahr 2016. Ausserdem habe es nun konkrete «Hinweise» aus dem Finanzdepartement gegeben, denen man nachgehen konnte.
Aber auch bei der zweiten Untersuchung habe die Fiko nicht alles bis ins letzte
Detail kontrollieren können: «Für die Überprüfung jeder
einzelnen Spesenabrechnung fehlt uns das Personal. Die dazu erforderlichen
Kapazitäten sind bei keiner Finanzkontrolle vorhanden», so Eichkorn.
Blöchlinger widerspricht
Eine ganz andere Sicht der Dinge haben Rosmarie Widmer Gysel und
Kurt Blöchlinger. In den
beiden Stellungnahmen an das Finanzdepartement, die Widmer Gysel der AZ auf
Anfrage zugeschickt hat, weisen sie die Beanstandungen der Fiko zurück.
So schreibt Kurt Blöchlinger
beispielsweise zum Projekt Führungsräume: Dieses Projekt sei «ein Auftrag des Gesamtregierungsrates» gewesen. Und: «Der Gesamtregierungsrat hat bei einer
Besichtigung das Projekt abgenommen und gelobt.»
Weiter sei die beanstandete Beschaffung des Beleuchtungsanhängers
eine «Notwendigkeit» gewesen, da die Sicherheit der
Polizistinnen und Polizisten «nicht
mehr vollumfänglich gewährleistet werden konnte».
Ausserdem seien die im Fiko-Bericht monierten
Budgetüberschreitungen bei der Telefoninfrastruktur sowie Ausrüstung und
Bewaffnung «in Absprache und
mit Erlaubnis der damaligen Regierungsrätin» erfolgt. Und ebenso weist der frühere Kommandant den Verdacht
zurück, er habe seinen Dienstwagen unerlaubterweise für private Fahrten
genutzt.
Zuletzt schreibt Blöchlinger,
dass überall die entsprechenden Bewilligungen vorgelegen seien. Und: «Alle Beschaffungen sowie Ausgaben,
die im Bericht erwähnt sind, mit meiner Vorgesetzten vereinbart bzw.
abgesprochen worden.»
Blöchlinger
schiebt den Ball also vor allem an Rosmarie Widmer Gysel.
Die frühere Regierungsrätin weist einen Teil der Beanstandungen
ebenfalls zurück. So sei der Personalbestand der Schaffhauser Polizei immer
ausführlich begründet worden. Weiter würden die Uniformen der Polizeimusik
nicht den einzelnen Musikantinnen und Musikanten des Vereins gehören, sondern seien «Eigentum der Schaffhauser Polizei». Zur «speziellen Belohnung» schreibt Widmer Gysel: Die Prämie sei
explizit an den Verein Polizeimusik geflossen und nicht an die einzelnen
Mitglieder. Und: «Es gab (…)
in den vergangenen Jahren immer wieder Gruppenprämien an Teams, in denen sich
nebst Mitarbeitenden des Kantons auch andere Personen engagierten (zum Beispiel
Gruppenprämie USRIII).»
Widmer Gysel schiesst zurück
Schliesslich verweist die frühere Finanzdirektorin erneut auf die
erste Fiko-Untersuchung von 2016: «Vor
dem Hintergrund, dass bereits im Jahr 2016 eine umfassende Schwerpunktprüfung
der Schaffhauser Polizei durchgeführt wurde, stellen sich mir verschiedene
Fragen. Ging es bei diesem Auftrag, resp. der Berichterstattung im ‹Hinblick
auf die Amtsübergabe an den zukünftigen Kommandanten› nicht eher und
ausschliesslich um eine Rechtfertigung für die Trennung von Kurt Blöchlinger? Respektive um die Suche
von Argumenten, um diese der Öffentlichkeit mit diesem Revisionsbericht zu
präsentieren?»
Und die frühere Regierungsrätin schiebt nach: Antworten auf diese
Fragen erwarte sie keine.
Gleichzeitig kritisiert Widmer Gysel, dass der AZ nur der Bericht
der Fiko und nicht auch die beiden Stellungnahmen zugeschickt wurden. Dies sei
mit dem Finanzdepartement vereinbart worden, denn: «Wir wehren uns nicht gegen Transparenz», sagt die ehemalige
Regierungsrätin.
Dass Blöchlinger und Widmer Gysel nun die Finanzkontrolleure angreifen, zeigt auch: Jetzt sind sie in der Defensive. Während die Fiko früher die ehemalige Regierungsrätin und den damaligen Polizeikommandanten entlastet hat, reiht sie nun gleich mehrere Kompetenzüberschreitungen auf. Der Wind hat gedreht.
Dieser Artikel erschien am 22. August in der «Schaffhauser AZ».